Tag 1: Anreise in Kuba

Auf unserer Kubareise haben wir ein Tagebuch geführt was wir nun in diesem Blog veröffentlichen möchten. Insgesamt gibt es 35 Tage zu berichten.

10. Januar 2014, Sonntag, halb sechs Uhr morgens. Ich hatte durchgemacht und die ganze Nacht in aller Seelenruhe im Büro meine Satteltaschen und den Rucksack gepackt und dann noch ein paar Mails geschrieben. Basti und Paul kommen pünktlich um halb sechs Uhr morgens. Basti fährt uns zum Flughafen, im kleinen Miet-LKW – anders hätten wir die riesigen Kartons mit den Fahrrädern nicht nach Tegel bekommen.

Paul hatte mehrmals mit Air Berlin telefoniert und schließlich eine geniale Lösung gefunden, wie wir Fahrräder und restliches Gepäck besonders kostengünstig in die Karibik bekommen. Die sperrigen, aber nicht besonders schweren Kartons mit den Fahrrädern waren als unsere normalen Gepäckstücke angemeldet, und dazu hatte er für sich einen Aufschlag für 2 Übergepäckstücke bezahlt.

Satteltaschen, Zelt, Isomatten und der restliche Trara reisten also in zwei Plastiksäcken auf seinen Namen, eigentlich hatte Air Berlin dieses geschickte Modell schriftlich bestätigt.

Nun aber hat die Dame am Check-In zu dieser frühen Morgenstunde sehr schlechte Laune, mokiert sich über unsere trickreichen Sparpakete und beschließt, als dann noch die Klebelabels an den Plastiksäcken nicht haften wollen, uns richtig Schwierigkeiten zu machen.

Zunächst bemängelt sie, dass die Packstücke in den transparenten Säcken einzeln gezählt werden müssten, also mehr als die erlaubten zwei Gepäckstücke wären. Und für Fahrräder müsste sowieso immer bezahlt werden. Paul bleibt entgegen seiner Art ruhig und gelassen, trotzdem steigert sich die Dame so in Ihren Ärger hinein, dass uns am Ende nichts anderes übrig bleibt, als 150 Euro Zuschlag zu bezahlen, wollten wir nicht riskieren, den Flieger ganz zu verpassen.

Nach der lager Diskussion schaffen wir es gerade noch mit den Rädern zum etwas entfernten Sperrgepäckschalter und dann wieder zum Check-In. Überpünktlich hebt die Maschine nach München ab, und der Anschlussflug nach Varadero /Kuba ebenso.

Die Kubaner wickeln die Passkontrolle der rund 250 deutschen Karibikurlauber schnell und professionell ab, Papiere vorlegen, ein Foto mit einer Minikamera, dafür bitte einen Schritt zurücktreten, nach 15 Minuten stehen wir am Gepäckband. Eine leicht räudig aussehende Promenadenmischung führt völlig selbständig, ohne Hundeführer, eine Drogenkontrolle durch, klettert immer wieder aufs Band und schnüffelt an den Koffern, wird aber nicht fündig.

Pauls Gepäcksack kommt ziemlich schnell heraus, dann erblicke ich meinen Fahrradkarton, der wegen seiner Größe an der Gepäckauslassluke hängengeblieben ist. Ich laufe hin, gebe ihm einen Stups – und bin schockiert – es ist nur der leere, oben geöffnete Karton, ohne Fahrrad.

Sofort fällt mir die Geschichte von Agathe ein, die am Bodensee als PR-Beraterin arbeitet. 2001 hatte sie auf dem Gepäckband in Havanna ihren Trekkingrucksack mit recht wertvollem Inhalt fast komplett leer bekommen, nur eine einzige Unterhose war noch drin – der Rest-Inhalt tauchte nie wieder auf.

Ein Mitarbeiter der Gepäckausgabe wirft einen Blick auf den Karton, lacht und macht eine schnell tretende Bewegung, da sei wohl jemand mit meinem Drahtesel davongeradelt. Immerhin kontaktiert er einen Kollegen, der genauso gut gelaunt bedeutet, man werde sich kümmern und Ausschau halten.

Wenigstens taucht noch der zweite Gepäcksack auf dem Band auf, Pauls Fahrradkarton samt Fahrrad fehlt völlig

Ein Kubaner klettert nach einer Weile durch die Luke, und nach einer Weile wieder zurück, klatscht fröhlich unsere Hände ab, alles in Ordnung – nur sind die Fahrräder immer noch nicht da. Sie lassen uns noch ein wenig zappeln, doch auf einmal liegt mein Fahrrad auf dem Band.

„Trinkgeld“ ruft einer der Gepäckmänner, auf Deutsch

Ich sage, das gebe es erst wenn das zweite Fahrrad da wäre. Das taucht dann auch pflichtschuldigst ebenfalls auf dem Band auf. Mangels kleinerer Scheine drücke ich dem lustigen Mann 10 Euro in die Hand, was wohl ein kubanischer Gepäckabfertiger-Wochenlohn ist. Sie helfen noch ein bisschen beim Auspacken, das von uns gewünschte gemeinsame Foto dürfen wir leider nicht machen, Duane, Zollbereich, wäre leider nicht erlaubt, bitte erst draußen.

Kuba empfängt uns mit feuchter Wärme. Paul hatte nie probiert, wie sein ganzes Gepäck samt mitgebrachten alten Marken-T-Shirts, die wir für weitere Zwischenfälle als Geschenke und Türöffner einsetzen wollen, aufs Rad passt.  Mit voller Beladung fühlt er sich als balkanischer Kriegsflüchtling. Jedenfalls sind wir superhappy, die Räder rollen, irgendwie sogar besser als in Deutschland, trotz der Beladung.

Auf der Straße vom Flughafen zur Küste herrscht fast kein Verkehr, erst als wir auf die Hauptstraße von Havanna nach Varadero einschwenken, nimmt die Kraftfahrzeugdichte zu. Tatsächlich ist jedes fünfte oder sechste Gefährt ein über 50 Jahre alter amerikanischer Straßenkreuzer.

Als die Amerikaner nach Castros Machtübernahme die Insel verlassen mussten, blieben ihre Fahrzeuge zurück – und mangels Neuimporten und Devisen werden die stylischen Oldtimer von den Kubanern mit viel Improvisationstalent bis heute am Laufen gehalten.

Mit dem Richtungswechsel auf die schnellstraßenartige Küstenstraße haben wir auf einmal heftigen Gegenwind. Die Strecke zieht sich, es ist längst dunkel. Bis nach Varadero müssen wir gute 30 Kilometer zurücklegen. Im Glauben, eine Abkürzung zu nehmen, verlassen wir zwischendurch die Autobahn und radeln durch eine Ortschaft namens Boca de Cariola. Immer wieder Musik und kubanische Männer mit freiem Oberkörper und Mädels in sexy Tops. Alle schauen uns an wie Außerirdische.

Eigentlich wollten wir schon am Flughafen Geld tauschen, das fiel uns aber erst draußen vor dem Abfertigungsgebäude ein.

Ohne kubanischer Pesos, die es einmal in einer für Touristen gedachten konvertiblen Form und dann noch als ziemlich wertlose „Peso local“ gibt, versuchen wir an einer Tankstelle in Euro zu zahlen, klappt aber nicht.

Schließlich finden wir das für zwei Tage vorgebuchte Hotel: zwei Sterne, einfachste Ausstattung, aber direkt am Meer. Die Rezeption behält die Pässe ein, kann aber endlich unser Geld tauschen.

Wir dürfen die Räder in einem abgeschlossenen Raum verstauen, und finden einige hundert Meter vom Hotel entfernt ein Restaurant, essen Schweine-und Hühnerfleisch mit Bohnen und süßen Kartoffeln und staunen, dass der Haupt-Touristenort von Kuba abends ziemlich verschlafen wirkt.

Paul geht bald zu Bett, während ich den Abend auf der Terrasse am Meer verbringe. Immerhin hat die Hotelbar mit einem dicken, gemütlichen und irgendwie verdammt tschechisch und gar nicht kubanisch wirkenden Kellner die ganze Nacht geöffnet. Später erfahre ich, dass er tatsächlich Dimitri heißt.

Tag 2: Die erste Nacht im Hotel

Schon kurz vor acht werden wir wach, Paul beschwert sich, dass ich die ganze Nacht geschnarcht habe und führte mir die nächtliche Geräuschkulisse als Live-Aufnahme auch gleich mit dem neu angeschafften I-Pad vor. Ich weiß wie sich Schnarchen anhört, und ändern kann ich es sowieso nicht.

Das Frühstücksbuffet ist erstaunlich gut sortiert für unsere zwei-Sterne-Herberge mit den Schimmelflecken an der Zimmerdecke. Rührei, leckere Hähnchenkroketten und diverse andere warme und kalte Spezialitäten. Der Kaffee-Nachschub etwas stockend, aber von annehmbarer Qualität. Anschließend springen wir ins Meer, türkisblau und recht angenehm temperiert – zumindest wenn man einmal drinnen ist.

Varadero liegt auf einer schmalen aber sehr lang gestreckten Halbinsel an der kubanischen Nordküste. Mit den Bikes machten wir uns auf den Weg  zur fast 20 Kilometer entfernten Spitze der Halbinsel. Zunächst erreichen wir das Zentrum von Varadero, eine Ansammlung von Restaurants, Kunstgewerbegalerien und den Büros einiger Touranbieter.

Der klassische  Varadero-Urlauber sieht das kleine Stadtzentrum gar nicht, da er pauschal und All Inclusive bucht. Einen knappen Kilometer weiter dann die ersten dieser 2-Wochen-Gefängnisse, viele weitere folgen. Wir schließen die Räder an und kommen durch eine Zaunlücke auf einen Golfplatz, wo Golfcars surren und ausschließlich mittelalte bis ältere überwiegend kanadische Herren mit weißen Schuhen und Schirmmützen Bälle abschlagen.

Die Security verscheucht uns und wir klettern einen Abhang hinunter zum Strand. Dicht an dicht liegen die Pauschaltouristen auf Plastikliegen. Erst sehen wir Touristen mit grünem All-Inclusive-Armbändchen, dann kommen die Gelben. Dummerweise haben wir keinen Schluck Wasser dabei, also schleichen wir uns in eine der Anlagen, drapieren unsere Shirts so geschickt über den Unterarm, dass das nicht vorhandene Bändchen nicht erkennbar ist und bekommen an der Bar anstandslos und gratis zwei Plastikbecher Bier und später noch etwas Wasser.

Kurz relaxen auf den Plasteliegen und dann radeln wir weiter zur Halbinselspitze. Keinerlei Geschäfte, kein Leben außerhalb der Anlagen, nur ein paar Bauarbeiter, die die Straße ausbessern, Busse, die Touristennachschub bringen oder abholen und ab und an die kubanischen Mitarbeiter der Ferienbunker, die auf ein Transportmittel warten, das sie vom Arbeitsplatz nach Haue schafft.

Eigentlich hatten wir am Ende der Halbinsel eine Mole, einen Leuchtturm und mindestens ein Restaurant erwartet. Doch die Straße endet einige Hundert Meter vom Ufer entfernt mit einem Wendekreis am Tor einer weiteren Ferienanlage. Der Pförtner verbietet uns die Weiterfahrt. Also den ganzen Weg wieder zurück.

Nachmittags essen wir im Ortszentrum grottenschlechte Pizza, abends dann recht schmackhaften Fisch in einem Strandrestaurant, zwischendurch noch ein Bad im Meer. Und wir stellen fest, dass unser etwas heruntergekommenes Hotel, dass teils von Russen, teils von irgendwie gescheitert wirkenden Existenzen aus Deutschland oder Kanada bewohnt wird, noch einer der angenehmsten Plätze in Varadero ist. Immerhin, der Sonnenuntergang ist top.

Tag 3: Schnell raus aus Varadero und ab nach Matanzas

Wahrzeichen in Matanzas

Wir beschließen, Pauls überzähliges Gepäck sowie das Verpackungsmaterial für den Rückflug der Räder ins 40 Kilometer entfernte Matanzas zu bringen und dort in einer Casa Partikular zu lagern. Das sind Privatpensionen, von Familien bewirtschaftet, die maximal zwei Räume an Besucher untervermieten dürfen und für dieses Privileg Abgaben an den Staat leisten müssen.

Hier wäre das Gepäck vermutlich wesentlich sicherer untergebracht als im Hotel, wo sich niemand für zuständig fühlt und die vermeintlich „vergessenen“ Gegenstände möglicherweise nach zwei Wochen einfach verkauft würden. Wir bepacken die Räder und reparieren noch erfolgreich den einzigen Transportschaden – das durchtrennte Kabel des Tachometers. Schließlich wollen wir wissen, wie viele Kilometer wir in den nächsten Wochen zurücklegen.

Letze Amtshandlung in Varadero ist der Gang zur Bank um Geld zu tauschen. Drinnen eine lange Touristenschlange. Ein Mitarbeiter ist ausschließlich damit beschäftigt, die Wartenden regelmäßig zum Aufrücken aufzufordern und gar nicht so laute Gespräche mit einem „Psscht“ zu unterbinden. Wenn Fidels Staat Devisen einnimmt, soll andächtige Stille herrschen.

Wir verlassen Varadero ohne großen Wehmut und finden diesmal zum Glück ruhige aber ebenfalls asphaltierte Wege, die uns parallel zur Autopista nach Matanzas bringen. Wir wussten gar nicht, dass Kuba Öl fördert, zu unserer Überraschung radeln wir an etlichen kleinen Förderanlagen vorbei, mit den charakteristischen Bohrhämmern.

Dass wir, kaum vorgebräunt, die Strecke in der prallen Mittagshitze zurücklegen, erscheint uns als Gift für die Haut, aber unser Zeitmanagement ist nun mal nicht besser. Zwischendurch finden wir immerhin eine schattige Bar. Die Einfahrt nach Matanzas gleicht dem Ritt in eine automobilisierte Hölle. Dabei hat Fidels Bruder Raúl erst vor zwei Wochen den Import von Privatfahrzeugen zugelassen. Es ist auch nicht so sehr die Anzahl der Autos, sondern der unglaublich Qualm der Abgase. Der verbrannte Sprit ist sagenhaft dreckig und die Jahrzehnte alten LKWs blasen uns dichte, stinkende Rußwolken ins Gesicht.

Unser Ziel ist eine Casa Particular ganz in der Nähe der berühmten Höhle „Cuevas de Bellamar“. Dummerweise gibt es die Herberge an der angegeben Stelle nicht und befragte Passanten können auch nicht weiterhelfen. Also radeln wir ins Stadtzentrum.

Wahrzeichen in Matanzas

Kaum rollen die Räder auf dem hübsch gestalteten zentralen Platz aus, sprechen uns mehrere Schlepper an und offerieren Unterkünfte. Wir vertrauen uns einem jungen Mann an, der ganz passabel Englisch spricht. Nach rund 500 Metern Weg öffnet sich eine riesige Holztür – und dahinter befindet sich ein kleines Paradies. Mindesten fünf Meter hohe Räume, edelster Mosaikfußboden, ein geräumiger Innenhof, ein perfekt gefliestes blitzsauberes Bad mit Waschtisch aus Marmor, wir können es kaum glauben. Ganze 25 Peso Convertibles, auch Cuc genannt, umgerechnet 18 Euro, kostet das Zweibettzimmer bei Wirtin Eleonor.

Esci, unser Schlepper, plaudert noch ein bisschen mit uns, erklärt der Wirtin, dass wir am 15. Februar wiederkommen und bis dahin einige Dinge einlagern wollen – alles kein Problem. Paul schenkt ihm ein Oberhemd aus seinem Fundus. Esci freut sich riesig. Abends will er wiederkommen und bei der Suche nach einem Restaurant behilflich sein.

Wir duschen, ziehen frische Sachen an und Punkt sieben steht Esci wieder vor der Tür – mit einer neuen Idee fürs Abendessen. Er könnte für uns bei sich zu Hause kochen und wir zahlen was wir für richtig halten. Finden wir prima, kaufen mit Esci Bier und Wasser für uns alle, er besorgt noch ein frisches Huhn und zehn Minuten später sind wir in seiner Wohnung.

Über viele Jahre hat der kubanische Staat seinen Bürgern den Kontakt zu Ausländern schlichtweg verboten. Noch heute, im Jahr 2014, dürfen nur die offiziell zugelassenen Casa Particulars die westlichen Gäste beherbergen, private Übernachtungen sind verboten. Insofern ist es schon erstaunlich, dass Esci uns als erstes den fabelhaften Blick von der gemeinschaftlichen Dachterrasse des heruntergekommenen Kolonialgebäudes zeigt und dafür den Schlüssel beim Nachbarn holt. Auch später in seiner Wohnküche bleibt die Tür zum Korridor offen, jeder kann hören, wie er in leidlichem Englisch das kubanische System einschätzt.

Wahrzeichen in Matanzas

Tagsüber arbeitet er als Gärtner, der Lohn wird in Peso Local ausgezahlt. Dafür kann er Reis, Mehl und ein paar Grundnahrungsmittel kaufen und mit den klapprigen städtischen Autobussen fahren. Alles was über die nötigsten Bedürfnisse hinausgeht ist nur für die konvertiblen Pesos, die Cucs, erhältlich. Fernseher, Shampoo, Speiseöl, auch ganz normale Flaschen mit Trinkwasser gibt es nur in den Devisenshops.

Wir erleben in Kuba ein System im Umbruch, manches erinnert an die Situation im sich wiedervereinigenden Deutschland im Jahre 1990. Als die DDR-Mark noch existierte aber der Übergang zur D-Mark unmittelbar bevorstand. Nur dass dies nicht auf einmal zu einem Stichtag wie bei der sogenannten Währungsunion am 1. Juli 1990 erfolgt sondern schleichend. Ausgehend von den Touristenhochburgen und den Städten bekommt der konvertible Peso immer mehr Bedeutung. Wie die Kubaner ihn sich beschaffen, bleibt ihrer Phantasie überlassen. Eine ganz seltsame Zwei-Klassen-Gesellschaft entsteht, die der Cuc-Besitzer und derjenigen, die auf ihre Löhne in Moneta local angewiesen sind.

Esci serviert uns würziges Huhn mit Reis und Salat. An der Wand der Wohnküche hängt ein Bild, das ihn mit seiner Freundin im Arm zeigt. Inzwischen die Ex-Freundin, berichtet er. Sie durfte zu ihrer Familie in die USA ausreisen, seitdem ist er solo. Schließlich verabschieden wir uns und lassen 20 Cuc für die Mahlzeit da, er kann das Geld gut gebrauchen.

Tag 4: Die erste Höhle in Kuba

Heute geht es zu den Cuevas de Bellamar. Paul hat vor der Reise eine detaillierte Kuba-Map auf den I-Pad heruntergeladen. Um Gestank und Verkehr zu entgehen, wollen wir in weitem Bogen am Südrand der Stadt zu den Höhlen fahren. Zunächst geht es noch über belebte Wege, wir staunen über die vielen Fußgänger und die quirlige Atmosphäre. Überall stehen Gruppen meist junger Menschen, plaudern miteinander und haben offenbar nicht viel zu tun. Die meisten sind modisch frisiert, Bettler oder augenscheinlich Obdachlose erblicken wir nicht.

Am Rande der Stadt führt der Weg steil bergauf und endet zwischen einfachen aber doch einigermaßen soliden Behausungen unerwartet im Nichts. Ich frage nach dem Weg zu den Höhlen. Ein junger Kubaner schickt uns den Berg wieder herunter und bietet im zweiten Satz gleich eine Chica bonita an, also ein hübsches Mädchen. Ich lehne dankend ab. Die Höhlen, einige Kilometer außerhalb der Stadt, sind sehenswert aber nicht besonders spektakulär. Rund ums Eingangsgebäude im Kolonialstil gruppieren sie gleich mehrere Restaurants und Kioske. Da auch die Pauschaltouristen aus Varadero Bustouren hierher buchen können, sind die Preise entsprechend hoch. Die geführte Höhlentour dauert eine Dreiviertelstunde, hinterher sind wir seltsam müde und zudem hungrig.

Wahrzeichen in Matanzas

Den Touristenstützpunkt wollen wir dennoch nicht subventionieren und radeln daher nach Matanzas zurück, stellen die Fahrräder in unserer feudalen Casa Particular ab und finden ein kleines einladendes Restaurant, draußen stehen die Preise in Moneta national dran. Drinnen bekommen wir eine spanische Speisekarte mit einigermaßen günstigen Cuc-Preisen – dennoch erheblich teurer als die Speisekarte in lokalen Pesos. Das Menü ist schmackhaft, und enthält mehr als erwartet, der Kellner kredenzt ein Glas Weißwein und am Ende gibt es leckeren Milchreis mit Zimt und einen Espresso.

Bislang hatten wir in der Innenstadt nicht einen Touristen gesehen. Auf einmal kommt ein älterer aber durchaus noch sehr sportlicher Herr mit süddeutschem Akzent an den Tisch. Er hätte uns auf Deutsch sprechen gehört, sagt er. Und schätzt auch gleich, warum Paul und ich gemeinsam unterwegs sind:

„Ich nehme an Vater und Sohn“.

„Das höre ich gar nicht gerne“, entgegne ich, auch wenn es bei unserem Altersunterscheid von 20 Jahren theoretisch gut hinkommen würde. Wir bitten Hans, der aus Südbaden stammt, an unseren Tisch. Er war schon mehrfach in Kuba, diesmal reist er für 2 Monate durch den Socialismo Tropical und legt dabei immer wieder Etappen auf seinem mitgebrachten Faltrad zurück. Er berichtet uns von der faszinierenden und rasanten Dynamik, mit der sich Kuba seit etwa zwei Jahren verändert und öffnet. Später gesellen sich noch zwei junge Schweizerinnen auf der Suche nach nützlichen Reisetipps zu uns. Wir rächen uns für Hans´ ersten Spruch, indem wir ihn augenzwinkernd als unseren Großvater vorstellen. „Was für eine romantische Vorstellung“, sagen die Schweizerinnen in ihrem landestypischen Singsang zu dem imaginären Drei-Generationen-Trip.

Hans zeigt uns, wo wir die Cucs in Moneta national tauschen können. Auf dem Weg zur Wechselstube gibt es dann noch eine skurrile Begegnung. Hans zeigt uns ein Haus im Kolonialstil, von dem nur noch die Grundmauern stehen. Der Boden der Ruine ist sauber ausgefegt, „bis vor kurzem lagen hier noch die Trümmer drin“.

Ein Kubaner, vieleicht 35 Jahre alt, sagt im Vorbeigehen in praktisch einwandfreiem Deutsch mit nur ganz leichtem, fast altertümlich wirkenden Akzent: „Es handelt sich um die Renovierung meiner Stadt“. Schließlich landen wir drei in der Lobby des edelsten Hotels von Matanzas, erst vor kurzem perfekt in kolonialer Architektur wieder aufgebaut. Der Mojito kostet kaum mehr als in unserer einfachen Russen-Absteige in Varadero. Und auf einmal taucht auch Esci, unser freundlicher Schlepper und Koch, in der Hotelhalle auf.

Paul möchte, beschwingt von drei Mojitos, in eine kubanische Disco. Esci, der vom Gesicht und mit seinem Kurzhaarschnitt entfernt an den Boxer Axel Schulz erinnert, verspricht alles zu organisieren und auf Paul aufzupassen. Schließlich brechen die beiden auf, während ich in der Casa Particular bleibe. Mit einem alten Chevrolet lassen sie sich an den Stadtrand chauffieren. Der Club ist zunächst noch geschlossen, füllt sich dann aber rasch. Paul wird von hübschen Chicas umschwärmt, tanzt den ganzen Abend, lehnt aber mit Rücksicht auf seine feste Freundin in Berlin alle weitergehenden Angebote ab. Esci sorgt für Pauls Sicherheit und dass die mitgenommenen 40 Cuc in Getränke für Chicas, Paul und ihn selbst umgerubelt werden. Kurz vor drei Uhr nachts hält ein Wagen mit lauter Musik vor unserer Casa Particular. Paul berichtet noch kurz und mit schwerer Zunge von seinen Erlebnissen und fällt danach – ausnahmsweise schnarchend – in tiefen Schlaf.

Wahrzeichen in Matanzas

Tag 5: Ab in den Westen

Nach einem ziemlich späten Frühstück nehmen wir Abschied von Wirtin Eleonor und unserer edlen Unterkunft. Esci ist auch wieder da, eine letzte Umarmung unter Männern und dann radeln wir mit den Rädern Richtung Westen. Genau so haben wir uns das ländliche Kuba vorgestellt, leicht hügelige Landschaft, Palmen, Grasland und mediterrane Vegetation. Am Straßenrand grasen Kühe und Pferde, eine Ziegenherde wird über die Straße getrieben. Ab und an begegnen uns Leute auf einfachen Fahrrädern oder einspännigen Kutschen, rufen „Hola“ oder grüßen still.

Die Straße führt zunächst über 30 Kilometer durchs Landesinnere. Auf vielen Abschnitten ist von der Asphaltdecke nicht mehr viel übrig geblieben. Wir müssen aufpassen, dass wir mit den schwer beladenen Rädern die schlimmsten Schlaglöcher umfahren. Der Gegenwind stört uns erstaunlich wenig. Wir freuen uns, dass die Temperatur bei meist bewölktem Himmel sehr angenehm und radfahrgeeignet ist. Dann schwenken wir nach Norden Richtung Küste ab, unser vorläufiges Ziel ist El Abra.

Hier habe ich vor gut 25 Jahren in einer Ferienanlage mit einfachen Bungalows meinen ersten und bis jetzt einzigen Kuba-Urlaub verbracht, genauer gesagt begonnen. Später hatten wir die Pauschalanlage verlassen und waren auf eigene Faust durchs Land gereist, was damals sehr viel schwieriger war als heute. Der „Campismo El Abra“ existiert immer noch. Eigentlich handelt es sich um mehrere gleichartig aufgebaute Anlagen mit einfachen grün, blau oder rot angestrichenen Betonhütten. Eine Pförtnerin öffnet für uns ohne weitere Fragen ein rostiges Tor. Dahinter scheint sich in den letzten 25 Jahren fast nichts verändert zu haben. Das Gelände wirkt verwahrlost. Einige kubanische Kinder und Jugendliche stromern herum, fast alle Hütten sind verrammelt. Ich bin mir nicht sicher, ob wir im richtigen Teil der Anlage sind, der verwaiste Pool mit grünlich schmutzigem Wasser auf einer erhöhten Terrasse kommt mir seltsam vertraut vor.

Das Wetter ist schlechter geworden, windig und ziemlich kühl, die Brandung tost an den schmalen Strand. Wir nehmen den sandigen Weg, der unter Bäumen parallel zum Meer an den einzelnen Segmenten des Campismo entlangführt. Ein kubanisches Pärchen streitet über irgendetwas, dann wieder keine Menschenseele. Paul, der sonst durch nichts zu erschrecken ist, findet die Atmosphäre unheimlich. Schließlich kehren wir zur asphaltierten Küstenstraße zurück, auf der Landseite befinden sich primitiv gezimmerte Hütten, gegen die die verwaschen bunten Cabanas von El Abra noch luxuriös wirkten.

Nach einer Weile zweigt wieder ein Weg zur Küste ab, ein Schild weist zu einem Restaurant. Nach über 40 Fahrkilometern haben wir Hunger, biegen ab und kommen zu einer weiteren fast leer stehenden Ferienanlage. Das Restaurant „Mirador“, übersetzt „Aussichtspunkt“, befindet sich oben auf einem Turm, der einer mittelalterlichen Festungsanlage nachempfunden ist. Wir sind die einzigen Gäste, Paul bestellt Gambas, ich ordere Schwein. Statt des obligatorischen Reis gibt es sogar Patatas Fritas, frittierte Kartoffelscheiben. Kaum haben wir bestellt, beginnen drei Jungs für uns zu musizieren, singen und spielen Gitarre. Der Wirt des Lokals unterstützt mal seine Frau am Herd, dann gesellt er sich wieder mit Rasseln zur Band. Fünf Leute sorgen dafür, dass wir beide gut verköstigt und unterhalten werden.

Am Ende begleitet uns der Wirt noch zu einer nahe gelegenen Casa Particular, die leider direkt an der Autopista liegt. Wir entscheiden uns, noch 8 Kilometer weiterzufahren, in die kleine Stadt Santa Cruz del Norte. Als wir dort eintreffen ist es längst dunkel. Wir fahren erstmal auf gut Glück durch den Ort – eine Unterkunft ist nicht zu finden. Dann fragen wir Passanten und glauben, man würde uns problemlos eine staatlich lizensierten Casa Particular zeigen. Stattdessen bietet man uns nacheinander zwei inoffizielle Bleiben an, kleine Zimmer mit einem Bett, das für uns beide eindeutig zu schmal wäre, im Nebenzimmer toben Kinder. Wir lehnen dankend ab, kehren zurück zu einem Kiosk an der Hauptstraße – und bekommen die Auskunft, dass es in Santa Cruz weder ein Hotel noch irgendwelche Casa Particulars gibt.

Wir überlegen schon, die 8 Kilometer zur eben abgelehnten Pension zurückzufahren oder irgendwo draußen zu schlafen. Zwei junge Kubanerinnen ermuntern uns schließlich, es doch noch mal im Ort zur versuchen, wir sollten einfach fragen. Am Ende landen wir tatsächlich wieder in einer inoffiziellen Unterkunft. Der Standard liegt weit unter dem, was der kubanische Staat in den genehmigten Casa Particulars garantiert, trotzdem zahlen wir den üblichen Preis von 25 Cuc. Die Wohnungsbesitzerin lässt nicht mit sich handeln und begründet das mit dem hohen Risiko, erwischt zu werden.

Immerhin bringt sie uns am späten Abend noch ein kleines süßes Dessert. Paul schläft im durchgelegen Bett, ein Meter zwanzig breit, ich lege mich mit der Isomatte auf den Boden, was für meinen Rücken eindeutig angenehmer ist.

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