Tag 16: Ausflug zum Kastell
Offenbar lebt auf einem Balkon unterhalb unserer Unterkunft ein nachtaktiver Hahn, der ab Mitternacht immer wieder aus Leibeskräften kräht. Und die enge Straßenschlucht, beim abendlichen Einchecken in sonntäglicher Friedhofsruhe, wandelt sich ab 5 Uhr in eine von dröhnenden LKWs durchfahrene Hauptverkehrsader. Stinkende Abgase ziehen ins Zimmer. Paul schläft trotzdem wie ein Stein, ich bin morgens wie gerädert.
Paul hat eine rund 15 Kilometer lange Route zu einem Kastell ausgesucht, dass seit Jahrhunderten die ziemliche enge Einfahrt vom Meer zum windgeschützen Hafen von Santiago bewacht. Wir sind uns unserer Route ziemlich sicher, schauen nicht aufs Navigationssystem vom I–pad und landen in einem kleinen Ort. Das Kastell in Sichtweite strampeln wir einen steilen Pfad empor. Links ein Fußballplatz, auf dem ca. 20 junge schwarze Kubaner bolzen. Sie rufen „Amigo“, machen dann eindeutige Zeichen, dass ihnen unsere Sonnenbrillen gefallen, hektisch fahren wir den Pfad wieder herunter und verlassen den Ort. Nach vier Kilometern Rückweg entdecken wir die richtige Einfahrt zum Kastell, schauen aufs Meer und den verwaisten Strand jenseits der Hafeneinfahrt. Die kostenpflichtige Besichtigung des Burginneren sparen wir uns.
Am frühen Nachmittag wieder Lunch im bereits erprobtem Restaurant, diesmal wird die teure Touristen-Speisekarte erst nach unserem Protest gegen die Version mit lokalen Peso ausgetauscht. Ich hole am Nachmittag den versäumten Nachtschaf nach, während Paul zur Moncada Kaserne marschiert und die sorgsam konservierten Einschusslöcher von Fidel Castros erstem Revolutionsversuch bestaunt.
Am Abend sitze ich noch auf dem zentralen Platz vor der Kathedrale und später auf unserer traumhaften Dachterrasse der Pension, während Paul schon tief und fest schläft.
Tag 17: Wir machen eine Wandertour
Zum hauptsächlich von Kubanern besuchten Badeort Siboney sind es nur 15 Kilometer. Wir checken in einer Casa Particular ein. Für die erste Nacht wollen wir dort nur die Fahrräder und unser Gepäck verwahren und dann 14 Kilometer Fußweg auf den 1200 Meter hohen Berg Grand Piedra zurücklegen. Oben gibt es ein Hotel, dort planen wir die Nach zu verbringen und am folgenden Morgen wieder abzusteigen und dann das Pensionszimmer in Siboney beziehen.
Beim Versuch den Pensionswirten mit meinen Basis-Spanischkenntnissen das Vorhaben zu erklären beschließe ich spontan, dass wir die Unterkunft schon für die erste Nacht komplett bezahlen. Ich finde es sicherer, dass Räder und Gepäck im abgeschlossenen Zimmer stehen, auch wenn wir dort nicht schlafen. Sparfuchs Paul findet die „Doppelzahlung“ für die Nacht unnötig.
Per Taxi Collectivo fahren wir drei Kilometer bis zum Ausgangspunkt unserer Wanderung, versuchen dort vergeblich unsere Wasservorräte aufzufüllen, es gibt nur ein paar Stände mit Obst. Also starten wir den langen Fußmarsch mit weniger als einem Liter Wasser.
Der Weg ist asphaltiert, steigt zunehmend steil an, mit fabelhaftem Blick weit übers Meer und kurz vor dem Ziel auch auf die Rückseite der Bergkette. Nur ab und an leisten wir uns in der Hitze einen Schluck von unserem kostbaren Wasser. Am späten Nachmittag, nach gut 4 Stunden, erreichen wir die Hotelrezeption mit angeschlossenem Restaurant. Der Mann hinterm Tresen erklärt uns, dass wir dort nicht schlafen könnten, in den Bungalows der kleinen Hotelanlage wäre das Leitungswasser abgestellt. Wir sagen, dass uns eine funktionierende Dusche nicht wichtig wäre. Schließlich stellt sich aber heraus, dass es auch keine Schlüssel für die Bungalows gibt und wir wieder absteigen müssen.
Vom Trinkwasser sparen ausgetrocknet starte ich einen kleinen Hamsterkauf, Wasserflaschen, Limo, Bier – unser ungeplanter Abstieg würde weitgehend im Dunkeln sattfinden, zum Glück habe ich Taschenlampen eingepackt.
Dann ist uns das Schicksal gnädig. Ein spanisches Pärchen fährt in der Abenddämmerung im Mietwagen vor und Paul macht für uns eine Mitfahrgelegenheit ins Tal klar. Wir erklimmen vom Restaurant aus noch kurz den eigentlichen Gipfel, den ein viele Tonne schwerer Felsbrocken krönt, machen Fotos und lassen uns dann ganz entspannt wieder ins Tal chauffieren. Die Spanier machen für uns sogar noch den Umweg nach Siboney, obwohl sie nach Santiago müssen.
Wir sind superfroh, dass uns am Meer das bereits bezahlte Pensionszimmer erwartet. Zuvor finden wir noch ein kleines privates Restaurant. Wir sind die einzigen Gäste und da wir mit den begehrten Cucs zahlen, legen sich die Wirtsleute richtig ins Zeug und zaubern ein Festmahl.
Tag 18: Jurassic-Park a la Kuba
Da Siboney außer einem steinigen Strand nicht viel zu bieten hat stornieren wir die zweite Übernachtung. Die Besitzer der Casa Particular akzeptieren unsere Entscheidung mit erstaunlicher Fassung und bedanken sich für unser Trinkgeld, mit dem wir versuchen für den entgangenen Gewinn zu entschädigen.
Heute wollen wir bis Guantanamo radeln. Der Ort ist als Marinestützpunkt der USA bekannt, die Amerikaner internierten hier Taliban aus Afghanistan. Die Bilder und Berichte von Folterungen der Gefangenen gingen um die Welt. Das etliche Quadratkilometer große Gelände befindet sich rund 20 Kilometer südlich der namensgebenden kubanischen Stadt Guantanamo. Die detaillierten Karten auf unserem I-pad zeigen eine Strecke entlang der kubanischen Südküste, die etwa 20 Kilometer vor dem Marinestützpunkt landeinwärts schwenkt und in die Kleinstadt führt.
Auf dem Weg dorthin befindet sich eine surreale Attraktion, ein weitläufiges Gelände mit rund 150 Betonsauriern in Lebensgröße, dazwischen Urmenschen ebenfalls aus Beton, auch wenn beide Spezies sich niemals begegnet sind. Wir streifen durch die kubanische Jurassic-Park-Version, machen Fotos und rasten in der angeschlossenen Bar. Es sind nur eine Handvoll Besucher da. Ein Deutscher, der die Gegend gut kennt, erklärt uns, dass der geplante Weg nach Guantanamo unpassierbar wäre, kubanisches Militärgelände.
Der einzige Weg ins Städtchen Guantanamo würde wieder zurück über Santiago und dann über die Autobahn im Landesinneren führen. Wir können zuerst nicht glauben, dass die Kubaner die ungeliebte US-Exklave in ihrem sozialistischen Land so weiträumig abschirmen und fahren weiter in die geplante Richtung.
Bei der Rast an einem Strand treffen wir einen schwarzen Kubaner namens Ricardo, der von 1985 bis 1994 in Eisenach gearbeitet hat, erst bei den Wartburg-Automobilwerken und nach der Wende bei BMW. Er bestätigt uns in bestem Deutsch, dass der Weg definitiv eine Sackgasse ist. Wir speisen im Restaurant am Strand, machen aber unmissverständlich deutlich, dass wir an den angebotenen, zugegeben sehr attraktiven Chicas kein Interesse haben, auch wenn das Vergnügen nur 20 Cuc kosten soll. Die Mädchen nehmen daraufhin tatsächlich von Annährungsversuchen Abstand und trollen sich.
Wir machen ebenfalls kehrt und fahren in die Richtung zurück, aus der wir gekommen sind. Der landeskundige Deutsche aus dem Jurrassic Park hatte uns vor nächtlichem Radeln gewarnt. Radfahrer mit Licht würden von weitem als Ausländer erkannt und gerne von knüppelschwingenden Banden überfallen, er selbst wäre deswegen bei Radfahrten nach Einbruch der Dunkelheit nach Landessitte immer unbeleuchtet unterwegs.
In der Dämmerung erreichen wir Siboney und mieten uns wieder dort ein, wo wir die letzte Nacht verbracht hatten. Unsere Wirtsleute beziehen wieder die Betten und freuen sich, dass die eigentlich abgesagte Übernachtung nun doch noch zustande kommt. Und sie erklären uns den Grund der weitläufigen Militärabsperrung. Zu viele fluchtwillige Kubaner wären – statt in kleinen Fischerbooten den gefährlichen 80 Kilometer weiten Weg nach Florida zu nehmen, einfach an der Küste Richtung US-Marinestützpunkt geschwommen.
Tag 19: viele Abgase in der Luft
Bis Guantanamo sind es etwa 100 Kilometer. Wir stehen noch vor Sonnenaufgang auf, frühstücken ausgiebig und setzen uns auf die Fahrräder. Der Deutsche aus dem Jurassic Park hatte uns gewarnt, die Strecke wäre landschaftlich reizlos und ziemlich eintönig. Hinter Santiago fahren wir wieder mal auf der Autopista, die stetig leicht ansteigt, dazu unangenehmer Gegenwind. Das schlimmste sind allerdings die Abgase. Es stimmt zwar, dass in Kuba ziemlich wenige Fahrzeuge unterwegs sind, dafür zieht jeder LKW eine 500 Meter lange Rußfahne hinter sich her, bei den PWs ist es kaum besser.
Die in Kuba erhältlichen Kraftstoffe, Diesel oder Benzin sind sehr schmutzig und unzureichend verarbeitet. Dazu kommen undichte, alte und schlecht eingestellte Motoren. Uns ist unklar, wieso Kuba so oft als Paradies für Radtouren gepriesen wird. Zu der Autobahnstrecke gibt es keine Alternative. Wir bedauern, dass wir keinen Mundschutz gegen die Schmutzpartikel haben und würden jedem zukünftigen Kuba-Radreisen dringend empfehlen, die weißen Atem-Masken in ausreichender Anzahl mitzuführen.
Nach 30 Kilometern Autobahn können wir endlich auf eine parallele Landstraße wechseln. Im nächsten größeren Ort finden wir dann, nachdem wir uns durchgefragt haben, einen Devisenshop mit dringend benötigtem Trinkwasser in Flaschen – auch das ist oft Mangelware. Am frühen Nachmittag sind wir wieder auf der Autobahn, auf der diesmal tatsächlich fast kein Verkehr herrscht. Rechts und links vertrocknete Vegetation, die Sonne brennt. Immerhin kündigt ein Schild eine Raststätte namens „Rio Frio“, kalter Fluss an.
Es gibt eine Bar im Freien und ein klimatisiertes Restaurant – mit Essen sieht es schlecht aus, sagt die Kellnerin im schwarz-weißen Dress. Wenn wir Zeit hätten, könnten wir Fisch bekommen. Eine halbe Stunde später kommt der Koch mit einigen frisch im Fluss geangelten kleinen Fischen, bereitet sie für uns zu, während wir uns bereits an erstaunlich wohlschmeckendem frisch gezapften lokalen Fassbier an der Open-Air Bar laben. Bisher gab es immer nur Dosen oder Flaschen.
Zwischendurch macht noch eine organisierte Radreisegruppe kurz Station an der Raststätte. Reiseleiter Martin ist mit 4 Deutschen unterwegs. Einer seiner Gäste berichtet, dass er schon eine Berlin on Bike Tour gemacht hat. Alle wollen zwei Tage später den La Farola Pass, der von der Südküste an die kubanische Nordküste führt, bezwingen. Martin gibt uns ein paar Tipps für die Strecke und wir beschließen: Wenn diese Gurkentruppe das schafft, können wir das allemal!
Guantanamo selbst ist die eigentliche Überraschung des Tages. Wir hatten eine verschlafene Kleinstadt ohne jeglichen Reiz erwartet. Stattdessen gibt es einen schön gestalteten zentralen Platz und sogar eine Fußgängerzone mit mehreren Bars mit amerikanisch wirkender Neon-Leuchtreklame. Viele junge Menschen in modischer Kleidung bevölkern das kleine Zentrum, wir hören Musik aus den unterschiedlichsten Richtungen. Die Stimmung ist ausgelassen – an einem ganz normalen Donnerstagabend. Touristen sieht man kaum.
Trotz der hermetischen Absperrung und der kubanisch amerikanischen Feindschaft, scheint es einen Geldstrom vom US-Stützpunkt in die Stadt zu geben, der hier einen bescheidenen Wohlstand sichert.
Paul geht ins Internetcafé, während ich durch die Straßen streife und ein Restaurant entdecke, das „Guantanamos ersten Döner Kebab“ anbietet. Paul hatte am Vorabend noch gesagt, dass er Lust auf einen richtigen Berliner Döner hätte. Wir lassen uns in der kleinen Gasstätte nieder und sind eigentlich auf eine recht seltsame Kreation eingestellt. Und dann schmeckt der Döner wirklich wie richtiger Döner – der Restaurantbesitzer lebt – wenn er nicht hier ist – in Frankfurt am Main und hat von dort alle Zutaten importiert.
Guantanamo scheint recht enge Beziehungen zu Deutschland zu haben. Später treffen wir noch die kubanisch stämmige stellvertretende Chefin eines italienischen Eiscafés aus Bautzen. Per Heirat hatte sie ihre Ausreise nach Sachsen organisiert und sich dann später scheiden lassen. Sie stellt uns ihren jetzigen kubanischen Freund vor, einen gutaussehenden 21jährigen Medizinstudenten. Er ist der nächste Ausreisekandidat, wenn sie sich zur Heirat entschließt.
Tag 20: Der Trick mit dem Benzin
Mir ist flau im Magen, später kommt Durchfall dazu. Morgens kaufen wir noch Wasser und tauschen einige Cucs in Moneta nacional, den Rest des Tages bleibe ich in der Unterkunft. Am Döner lag es wohl nicht, zumal Paul putzmunter ist und mittags gleich den nächsten verzehrt. Vom Restaurantchef erfährt er diverse Interna, wie Kuba funktioniert, zum Beispiel wie sich die Einheimischen die hohen Spritpreise von 1 Cuc pro Liter leisten können.
Die meisten Fahrzeuge, vor allem die LKWs sind in staatlicher Hand. Deren Fahrer füllen den Kraftstoff weitgehend unkontrolliert an den Zapfsäulen der volkseigenen Betriebe nach. Wer privat Auto fährt, kauft den Sprit bei den staatlichen Fahrzeuglenkern, die sich so ein Zubrot verdienen. An den wenigen Tankstelle im Lande tanken vor allem die ausländischen Touristen im Mietwagen.
Die abendliche Essenseinladung beim kubanischen Pärchen platzt aus unerfindlichen Gründen, wir werden einfach nicht abgeholt. Paul geht also alleine essen, ich schone meinen Magen.