Kanutour in Berlin Neu Venedig
Berlins Städtebauer haben sich von vielen anderen Metropolen inspirieren lassen, kopiert und abgekupfert – aber dass es einen Stadtteil gibt, der wie die Lagunenstadt Venedig von einem Netz von Kanälen durchzogen isst, das erstaunt dann doch.
5 Kilometer Wasserstraßen, 374 Grundstücke, die allesamt an den Ufern liegen, jedes mit eigenem Bootsanleger.
Kanutour auf dem Canale Grande durch Berlin Neu-Venedig
Wir gleiten mit den Kanus durch die stillen Kanäle, Trauerweiden reichen weit übers Wasser, Entenfamilien paddeln aus dem Uferdickicht. Vom breiten „Canale Grande“ biegen wir in schmalere Wasserstraßen ab und fahren unter geschwungenen hölzernen Fußgängerbrücken hindurch. Im Zentrum von Neu Venedig dominieren einfache Wochenendhäuser aus Holz mit kleinen knarzigen Bootsstegen. Bis heute gilt der innere Bereich der Siedlung als Überschwemmungsgebiet, bei Spree-Hochwasser würde das Gebiet notfalls geflutet, um Schäden in der flussabwärts gelegenen Berliner Innenstadt zu vermeiden.
Hier liegt auch die Ausflugsgaststätte „Neu-Venedig„. Man sitzt im weitläufigen Garten, schaut verträumt aufs Wasser, die Zeit scheint hier still zustehen. Das gilt auch für die erstaunlich günstigen Preise des Lokals, keins der schmackhaften Gerichte kostet mehr als 10 Euro.
Nutzungsplan in Berlin Neu Venedig
Am Rande von Neu Venedig durften die Grundstücksbesitzer feste Häuser bauen. In den letzten Jahren entstanden hier diverse imposante Villen mit Säulenportalen, die nicht so recht zur übrigen rustikalen Idylle passen.
Die Idee für die Siedlung Neu Venedig entstand vor knapp 100 Jahren. Berlin boomte, die Einwohnerzahl wuchs rasant an, und so beschloss das Köpenicker Bauamt, die sumpfigen Spreewiesen des ehemaligen Ritterguts Rahnsdorf zu entwässern und als Bauland zu erschließen.
Statt temporärer Entwässerungsgräben wurden dauerhaft nutzbare Kanäle angelegt, jeder frischgebackene Grundstücksbesitzer sollte direkt von seiner Scholle aus dem Wassersport frönen können.
Berlin Neu Venedig hatte viele Besitzer
Ein solches Projekt lag damals durchaus im gesellschaftlichen Trend. Die Jahrzehnte der Industrialisierung hatten zu unglaublich verdichteter Bebauung in den Städten geführt, der Ruß der Fabriken waberte durch die Straßen.
Und so entstand eine gegenläufige Entwicklung, die sogenannte Lebensreform-Bewegung: Zurück zur Natur. Es gab die sogenannten „Wandervögel“ und auch die „Freikörperkultur“, das Nacktbaden, geht auf diese Zeit zurück.
Dementsprechend gab es eine hohe Nachfrage nach den Grundstücken im Grünen, direkt am Wasser. Schon während der Erschließungsarbeiten stieg der Quadratmeterpreis von 2 auf 3,50 Reichsmark.
Nach dem Mauerbau 1961 konnten viele West-Berliner ihre nun im russischen Sektor gelegenen Wochenendhäuser nicht mehr erreichen. Sie wurden zwangsenteignet und das Land an verdiente SED-Parteigenossen übergeben.
Erst nach 1989 verschwand die DDR-Polit-Elite nach und nach, als die Grundstücke den alten Besitzern rückübertragen wurden.
Kanufahren bis zum Müggelsee
Nach der Runde durch das verzweigte Kanalsystem von Neu-Venedig führt unsere Kanutour hinaus auf die Müggelspree und weiter nach Rahnsdorf. Auf dem Weg zum Müggelsee kann es an Wochenenden vorkommen, dass ein Ruderboot unsere Route quert. Dabei handelt es sich um Berlins einzige mit Muskelkraft geruderte Fähre, die als ganz normales öffentliches Verkehrsmittel gilt. So idyllisch kann man sich hier für 1,70 Euro über die Spree übersetzen lassen, während sich ein paar Kilometer stadteinwärts Hunderte von Menschen mit dem gleichen Fahrschein in volle U-Bahnzüge drängen.